Pressemitteilung: 11.11.2018 // Remagen. Kreis Ahrweiler, 15:00 Uhr

1938. Vor genau 80 Jahren fanden in ganz Deutschland organisierte Plünderungs- und Tötungsaktionen statt. Die Reichspogromnacht.

Deswegen veranstalteten das Bündnis für Frieden und Demokratie in Remagen mit Frau Agnes Menacher und den Jusos Kreis Ahrweiler mit ihrem Vorsitzenden Nikolay Vasilev die traditionelle Mahnwache am Römerplatz in Remagen. Dieses Jahr fand die Mahnwache tagsüber statt.

Zu Beginn ertönten vom Klarinettenspieler und Saxophonist István Szebegyinszki traditionelle Töne, die zum Anlass passten. Sodann begrüßte Frau Karin Keelan, vom Bündnis für Frieden und Demokratie der Stadt Remagen, stellvertretend für Frau Agnes Menacher die Anwesenden. Sie betonte, dass dieses Jahr die Mahnwache besonders wichtig sei, da 80 Jahre seit 1938 vergangen seien. Der Bürgermeister der Stadt Remagen, Herr Björn Ingendahl, hielt eine ergreifende Rede. Er erinnerte an die Reichsprogromnacht und appellierte die Fehler der Vergangenheit nicht in der Zukunft zu wiederholen. Sodann wandte sich Nikolay Vasilev, der Vorsitzende der Jusos im Kreis Ahrweiler, an die Teilnehmenden: „Hier an dieser Stelle, an der wir jetzt stehen, stand eine Synagoge. Ein Ort, an dem Menschen sich begegnen und Gott begegnen. Ein Ort, an dem Menschen ihren Glauben ausüben. In Deutschland hat jeder das Recht auf Religionsfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 Grundgesetz. Zu dem Recht auf Religionsfreiheit gehört auch die Religionsausübungsfreiheit gem. Art 4 Abs. 2 GG. Das bedeutet, dass jeder Mitbürger und jede Mitbürgerin die Freiheit hat seine oder ihre Religion in der Öffentlichkeit auszuleben.  

Wir verurteilen die Taten von 1938. Fremdenhass, Verachtung einer anderen Religion und Diskriminierung gehören nicht in unsere Gesellschaft. Wir stehen für die Würde des Menschen, die unantastbar ist! Ein Mord kann nicht mit einer anderen Religion gerechtfertigt werden! Das ist menschenverachtend, widerspricht unseren Gesetzten und unseren Werten. (…) Mit Populismus, Fremdenfeindlichkeit und Menschenverachtung Wahlen zu gewinnen ist nichts Rühmliches. Es ist unsere Aufgabe als Demokraten, unabhängig ob Linke, Grüne, SPD, CDU / CSU, FPD und freie Wähler für unsere Werte zu stehen und für diese zu kämpfen. Für Pressefreiheit. Für Chancengleichheit. Für Religionsfreiheit. Macht euch stark für unsere Demokratie! Lasst uns den Hass mit Liebe begegnen!“

Anschließend betonte Frau Ute Metternich vom ehemaligen Arbeitskreis Mahnmal Synagoge, dass es wichtig für unsere Gesellschaft sei zusammen zu gedenken und gleichzeitig gemeinsam Stärke zu zeigen. Danach rief Herr Rudolf Menacher die Teilnehmenden zum Gedenken auf, berichtete über die Ereignisse um 1938 und verlas die Namen der Opfer.

„In Remagen sind 13 Stolpersteine zur Erinnerung an die Mitbürger jüdischen Glaubens verlegt worden, die hier ihre letzte Wohnstätte hatten. Im Jahr 1942 sind sie bei zwei Transporten in die Vernichtungslager deportiert worden: Remagen war „judenfrei“, wie es im politischen Jargon hieß.

Wir gedenken dieser 13 Mitbürger, aber wir erinnern uns auch an die gebürtigen Remagener jüdischen Glaubens, die ebenfalls Opfer dieses Terrorregimes geworden sind und ermordet wurden. Viele, viel zu viele Bürgerinnen und Bürger haben auch in Remagen dieses Regime unterstützt und die Missachtung, Diskriminierung und Deportierung ihrer Mitmenschen hingenommen.

Wir gedenken:

an Henriette Aron, geboren in Oberwinter
an die Mitglieder der Familie Cahn aus Kripp:
Berta Cahn geborene Jacobi und ihre Kinder Heribert und Ingeborg
an Ernst Cahn geboren in Remagen, standrechtlich erschossen in den Niederlanden
an Moritz Cahn, den Besitzer des Römerhofs, ermordet in Sobibor
an die Angehörigen der Familie Fassbender aus Remagen:
Jonas Fassbender und Else Fassbender geborene Katz und ihre Kinder Gerd und Inge Fassbender, wohnhaft in Remagen
Clara Kayem geborene Fassbender, geboren in Remagen
Leopold Fassbender, geboren in Remagen, und Ehefrau Anna geborene Bonheim
an die Angehörigen der Familie Gottschalk aus Bodendorf, zuletzt wohnhaft in Remagen:
Bernhard Gottschalk und seine Frau Rosa Gottschalk geborene Cahn
an Moritz Meyer, geboren in Remagen
an Carl Meyer aus Sinzig, geboren in Remagen, und seine Eltern Isaak und Mathilde Meyer
an die Angehörigen der Familie Levy aus Remagen:
Jonas Levy und seine Frau Sofie Levy geborene Kaufmann
sowie Emma Rosenthal geborene Levy, geboren in Remagen, und ihren Mann Siegfried Rosenthal
an ihre Schwägerin Henriette Wolffs geborene Rosenthal, zuletzt wohnhaft in Remagen
an Martha Levit, wohnhaft in Remagen
an die Angehörigen der Familie Levy, die in Oberwinter geboren wurden:
Albert Levy mit Ehefrau Emmi geborene Simons,
Carl Levy mit Ehefrau Lina geborene Bruch und deren Schwester Rosa
Julius Levy
seinen Sohn Siegmund Levy, dessen Frau Clara geborene Wolf und ihren Sohn Manfred Levy
Markus Levy
Siegmund Levy, den Bruder von Markus, und seine Frau Julie geborene Ursell
Bertha Bukofzer geborene Levy, ihren Mann Josef und ihre Tochter Edith, ihre Schwester Caroline Bukofzer geborene Levy
Bertha Kaufmann geborene Levy und ihren Mann Hermann
an die Angehörigen der Familie Marx aus Remagen
Fanny Marx geborene Aul, wohnhaft in Remagen
Henriette Marx, ermordet in Hadamar
Max Marx und Alice Marx geborene Heumann
mit Franziska Heumann, der Tante von Alice
sowie Arthur Marx, geboren in Remagen, seine Frau Betti und Tochter Helga
Alwine May geborene Marx, geboren in Remagen, und ihren Mann Hans Georg May
Ferner an Max Auerbach, den Ehemann von Johanna geborene Marx  und ihren Sohn Gerd Auerbach
an die in Oberwinter geborenen Angehörigen der Familie Meyer:
Max Meyer
Mathilde Nathan geborene Meyer mit Ehemann Isidor Nathan und Sohn Benno
Rosa Schild geborene Meyer und ihren Ehemann Siegfried Schild
an Bertha Michel geb. Weiß, geboren in Remagen
an Paula Seidemann geb. Wolff, geboren in Remagen
an Nathan Rothschild, zeitweise wohnhaft in Remagen
an Martha Kerp geborene Cahn, zeitweise wohnhaft in Remagen,
und ihren Mann Erich Kerp“

Nachdem das Kaddisch (jüdisches Gebet) gesprochen wurde fand eine Folgeveranstaltung im evangelischen Gemeindehaus statt, das vom Pfarrer Herr Schankweiler zur Verfügung gestellt wurde. Die extreme Rechte in Rheinland-Pfalz: Zwischen Kontinuität und Wandel
Aktuell kommt es in der Bundesrepublik zu starken Mobilisierungserfolgen der extremen Rechten, sowohl bei Wahlen als auch auf der Straße. Akteure einer modernisierten Rechten spielen ebenso wie traditionelle rechtsextreme Netzwerke eine Rolle. Allerdings befindet sich die traditionelle rechtsextreme Szene im Umbruch und auf Strategiesuche. Vormals tonangebende Strukturen wie Aktionsbüros und Kameradschaften sind in Rheinland-Pfalz öffentlich kaum mehr wahrzunehmen bzw. agieren unter dem Radar der breiten Öffentlichkeit – Ausnahmen bestätigen hier die Regel.
Im Kreis Ahrweiler machte das Aktionsbüro-Mittelrhein von sich Reden. Seit 2012 wird dessen Mitgliedern die Bildung bzw. die Unterstützung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Der erste Prozess am Landgericht Koblenz scheiterte nach über 330 Prozesstagen. Der zweite Anlauf startete am 15. Oktober in Koblenz. Allerdings sind viele der Angeklagten weiter aktiv und fest in rechtsextreme Netzwerke integriert. Diese Netzwerke marschieren auch im November 2018 zum 10. Mal in Folge in Remagen auf. Wie ist also die rechtsextremistische Szene in Rheinland-Pfalz einzuordnen, welche Strategien lassen sich beobachten und wie verhalten sich die „alte“ und „neue“ Rechte zueinander?
Der noch fehlende Stolperstein für Martha Levit wird im Zuge der Begehung "Remagen Nazifrei" am 17. November, am Tag der Demokratie verlegt. Die Veranstaltung wurde film- und tontechnisch begleitet von Roman Schröder vom Medienteam der Jusos Rheinland-Pfalz.

Jusos Kreis Ahrweiler, Bündnis für Frieden und Demokratie Remagen

Rede Pfarrer Michael Schankweiler an der Mahnwache in Remagen
am 11. November 2018

"Heute schauen wir mit Entsetzen auf die Geschehnisse vor 80 Jahren, als hauptsächlich SA-Männer jüdische Synagogen, Geschäfte und Wohnungen schändeten. Wir erheben Anklage!
Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass es letztlich unsere Vorfahren waren, die als Täter oder als schweigende Mehrheit diese Judenpogrome mit verantworteten. Bei aller Anklage gegenüber den Verbrechern von damals, benötigen wir bis heute eine große Portion Selbstkritik, denn in uns allen schlummern verborgene Reste des jahrtausendealten Antisemitismus.
Wie es Bert Brecht sagte: “Der Schoß ist fruchtbar, aus dem es kroch!"
Wir schauen als Kirchen auch mit Scham und Entsetzen auf das, was Martin Luther in seinen älteren Jahren der Obrigkeit riet im Umgang mit den Juden: Man solle eine scharfe Barmherzigkeit an ihnen üben. Ihre Synagogen verbrennen, ihnen ihre Betbücher wegnehmen, sie zu Zwangsarbeit anhalten und ihnen ihr Geld abnehmen und staatlich verwalten..
Das Christentum hat den Boden für die Greueltaten vor 80 Jahren mit vorbereitet. Davon wollen wir uns heute entschieden distanzieren und sie verurteilen.
Nur wenige protestierten. Einer von denen, die nicht schwiegen, war Dietrich Bonhoefer. Er bekam zu seiner Konfirmation die Bibel seines im 1. Weltkrieg gefallenen Bruders Walter geschenkt. Dort unterstrich er am 9.11.1938 Verse des 74. Psalms. Dort heißt es: "Sie verbrennen dein Heiligtum, bis auf den Grund entweihen sie die Wohnung deines Namens." (V. 7)
Dietrich Bonhoefer war es auch, der gesagt hatte: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch Gregorianik singen!"
Der Angriff gegen die Synagogen war ein Angriff gegen Gott. Heute sagen Christinnen und Christen: „Wer das Judentum angreift, greift damit auch das Christentum an. Jüdinnen und Juden sind unsere Schwestern und Brüder."

Michael Schankweiler, Pfarrer


Die extreme Rechte in Rheinland-Pfalz: Zwischen Kontinuität und Wandel

 

Aktuell kommt es in der Bundesrepublik zu starken Mobilisierungserfolgen der extremen Rechten, sowohl bei Wahlen als auch auf der Straße. Akteure einer modernisierten Rechten spielen ebenso wie traditionelle rechtsextreme Netzwerke eine Rolle. Allerdings befindet sich die traditionelle rechtsextreme Szene im Umbruch und auf Strategiesuche. Vormals tonangebende Strukturen wie Aktionsbüros und Kameradschaften sind in Rheinland-Pfalz öffentlich kaum mehr wahrzunehmen bzw. agieren unter dem Radar der breiten Öffentlichkeit – Ausnahmen bestätigen hier die Regel.
 

Im Kreis Ahrweiler machte das Aktionsbüro-Mittelrhein von sich Reden. Seit 2012 wird dessen Mitgliedern die Bildung bzw. die Unterstützung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Der erste Prozess am Landgericht Koblenz scheiterte nach über 330 Prozesstagen. Der zweite Anlauf startete am 15. Oktober in Koblenz. Allerdings sind viele der Angeklagten weiter aktiv und fest in rechtsextreme Netzwerke integriert. Diese Netzwerke marschieren auch im November 2018 zum 10. Mal in Folge in Remagen auf. Wie ist also die rechtsextremistische Szene in Rheinland-Pfalz einzuordnen, welche Strategien lassen sich beobachten und wie verhalten sich die „alte“ und „neue“ Rechte zueinander?


Der Referent ist Mitarbeiter beim Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus in Rheinland-Pfalz.